Gesellschaft Gesundheit

Freiheit und Verantwortung in der Pandemie

Die Piratenpartei Schleswig-Holstein möchte die regierenden Parteien darum bitten, zum Schutz ihrer Bürger einen allumfassenden Lockdown zu verhängen.

Einen Einblick warum wir diese Forderung aufgestellt haben gibt der 1. Vorsitzende Joachim Rotermund:

Die gesamte traditionelle Ethik beschäftigt sich überwiegend mit folgenden drei Problemfeldern:

-Mit der Frage nach dem höchsten Gut,

-mit der Frage nach dem richtigen Handeln und

-mit der Frage nach der Freiheit des Willens.

Das Ethos bedeutet für uns die von sittlichen und moralischen Normen geprägte, verantwortungsbewußte Grundhaltung eines einzelnen oder einer Gruppe. Der Begriff der Ethik ist natürlich einem ständigen Wandel unterzogen und kein absoluter Begriff. Er muß nur rational begründbar sein. Ethos und Würde des Menschen erweisen sich vor allem am Umgang mit jenen, die seines Schutzes bedürfen.

Ethisch spricht nichts gegen die Impfpflicht? Gut. Die Frage ist nur: Welche Ethik? Die von Kant oder Hobbes? Oder jene von Bentham oder Stirner? „Denn die Freiheit ist inhaltsleer. Wer sie nicht zu benutzen weiß, für den hat sie keinen Wert“, schreibt der Freiheitsphilosoph Max Stirner.

Es gibt eine starke Beziehung zwischen Freiheit und Verantwortung, weil Verantwortlichkeit voraussetzt, daß der Einzelne Handlungs- und Entscheidungsfreiheit haben kann. Daher führt Freiheit notwendigerweise zu Verantwortung. Aber es gilt auch: Freiheit ohne Verantwortung ist keine Freiheit, jedenfalls nicht im Sinne Kants.

Die andere Seite der Medaille der Freiheit ist die Fürsorge.

Es gibt keine nicht-bedürftigen Menschen. Es gibt niemanden auf dieser Welt, der oder die nicht von Sorge abhängig wäre. Diese Erfahrung machen wir alle seit dem Moment unserer Geburt, da wir ab der ersten Sekunde unserer Existenz auf andere Menschen angewiesen sind, um zu überleben. Wir müssen die Verflochtenheit von Autonomie und Abhängigkeit begreifen, und zwar nicht nur was Kindererziehung oder Pflegesituationen von kranken, alten oder behinderten Menschen anbelangt, sondern hinsichtlich menschlicher Existenz insgesamt.

Dabei geht es um menschlichen Beziehungen, welche das klassische Pflichtverständnis transzendiert und Freude am Füreinander-Sein stärkt, das Interesse an einer anderen Person und an einem lebensfähigen Planeten. Dies hätte auch Konsequenzen für die Ausgestaltung, Politik und Ökonomie, über individuelle Freiheitsrechte sowie deren konkrete gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Ausgestaltung im Angesicht von Klimakrise und Pandemie. Die Corona-Pandemie hat uns in aller Deutlichkeit vor Augen geführt, welche fundamentale Bedeutung Vor- und Fürsorge für das solidarische Zusammenleben in einem Gemeinwesen hat.

Aber wenn Politik auch amoralisch ist, so ist sie nicht unmoralisch. Ihr Sinn liegt in der Vorsorge, der Förderung des Gemeinwohls, und Gemeinwohl ist ein sittlicher Wert. Von der Verantwortung für dieses Gemeinwohl und für das Gemeinwesen wird politisches Handeln bestimmt. Selbst in Ausnahmezeiten eines flächendeckenden und katastrophalen Notstands hat er nicht nur die Pflicht, möglichst viele Menschenleben zu retten, sondern auch und vor allem die Grundlagen der Rechtsordnung zu garantieren.

Warum wollen wir dann den Lockdown?

Ein Lockdown zielt darauf ab, den Anstieg der Infektionen zu bremsen, um eine Überforderung der Gesundheitsversorgung zu verhindern. Dabei kommt der Bereitschaft, die Maßnahmen des Lockdowns im Sinne einer gemeinschaftsstiftenden Solidarität zu akzeptieren, besondere Bedeutung zu. Der ethische Kernkonflikt besteht darin, ein dauerhaft hochwertiges, leistungsfähiges Gesundheitssystem zu sichern und zugleich müssen schwerwiegende Nebenfolgen für Bevölkerung und Gesellschaft durch die Maßnahmen abgewendet oder gemildert werden.

Selbst bei vergleichbaren Schrumpfungsraten wird die COVID-19 -Krise breiter, tiefgreifender und länger sein als die Finanzkrise. Daher ist ein „Laufenlassens“ unverantwortlich. Dies erfordert von allen staatlichen Behörden eine umfassende und abgestimmte Information und Aufklärung sowie konkrete Handlungsanweisungen.

Unbedingte Voraussetzung dafür ist, daß die Strategie zur Eindämmung und Kontrolle von Covid-19 auch konsequent durchgesetzt wird. Denn ginge man zu zaghaft vor, würde ebenso die Überlastung der Kapazitäten der Gesundheitsversorgung drohen wie bei einer anfänglich erfolgreichen, dann aber zu früh gelockerten Strategie.

Zugleich ist eine breite Förderung/Unterstützung von Forschung zu Impfstoffen und Therapeutika sowie Vorbereitung von Förderstrukturen für deren massenhafte Produktion und Einführung notwendig.

Also, was ist noch zu tun?

Miteinander sprechen. Uns austauschen, was uns wichtig ist, was wir unter den gegebenen Verhältnissen ganz gut tun können, was weniger gut und wo wir gemeinsame Interessen haben. Dieses ganz einfache, altbekannte, „menschliche“ Prinzip ist nicht zu einfach für „große Politik“. Im Gegenteil: die große Politik muß so menschlich sein, daß sie uns als Subjekte nicht erdrückt. Menschliche Politik muß sich auf die Entfaltung der Individuen gründen und nicht ihre Unterdrückung. Politik für eine menschengemäße Gesellschaft erst recht.