Bildung Gesellschaft

Offener Brief: Erinnern heißt handeln – für eine plurale, inklusive Demokratie

Triggerwarnung:
Dieser Text thematisiert Nationalsozialismus, Holocaust, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Versuche rechtsextremer Indoktrination. Wer sich betroffen fühlt oder aus rechtsextremen Strukturen aussteigen möchte, findet Unterstützung bei EXIT Deutschland oder bei der Telefonseelsorge unter 08001110111 / 08001110222 oder 116123 

Wir PIRATEN Schleswig-Holstein veröffentlichten am Mittwoch dem 11.06.25 als einzige erstunterzeichnende Partei gemeinsam mit einem vielfältigen Bündnis einen offenen Brief an Bildungsministerin Dr. Dorit Stenke und danken an dieser Stelle allen Mitwirkenden herzlich für ihr Engagement für eine bessere Zukunft. Unsere Forderung: Verpflichtende Besuche von KZ-Gedenkstätten für alle Lernenden und ihre Sorgeberechtigten in Schleswig-Holstein.

Offener Brief an Frau Ministerin Dr. Dorit Stenke:

11.Juni 2025
Sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Stenke
80 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz ist das Ergebnis einer von der Jewish Claims Conference in Auftrag gegebenen internationalen Studie erschreckend:
In Deutschland hat gut jeder zehnte junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren noch nie etwas von den Begriffen Holocaust oder Schoa gehört. Etwa 40 % wissen nicht, dass bis zu sechs Millionen Jüdinnen und Juden während der NS-Zeit getötet wurden. 15 Prozent sind sogar überzeugt, dass die Zahl der Ermordeten bei zwei Millionen oder weniger lag. Die Tatsache, dass derart große Wissenslücken (nicht nur) bei jungen Menschen bestehen, bereitet uns große Sorge, insbesondere angesichts des klaren Rechtsrucks in Politik und der Gesellschaft allgemein. Dieser beinhaltet, dass zunehmend relativierende Aussagen über den Holocaust öffentlich verbreitet werden – bis hin zu dessen Leugnung. In unseren Augen ist deshalb eine effektive Bildung über den Holocaust wichtiger denn je. Die Hamburger Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) hat Anfang des Jahres angekündigt, dass alle Hamburger Schülerinnen zukünftig eine Gedenkstätte zum Nationalsozialismus besuchen sollen.
Sehr geehrte Frau Dr. Stenke, bitte setzen Sie sich dafür ein, dass zukünftig auch in
Schleswig-Holstein alle Schülerinnen im Rahmen eines qualitativ hochwertigen Bildungsformats eine KZ-Gedenkstätte in Schleswig-Holstein besuchen können und die dafür notwendigen Strukturen geschaffen bzw. ausgebaut werden. Dazu gehört die Verbesserung der Rahmenbedingungen an den Schulen, die insbesondere darin besteht, Zeit und Raum für die angemessene Vor- und Nachbereitung des Gedenkstättenbesuches sowie für den Gedenkstättenbesuch selbst zu schaffen. Außerdem sollte das Thema Gedenkstättenbesuche dauerhaft in die Lehreraus- und Lehrerfortbildung integriert werden und auch die personelle und infrastrukturelle Situation an den KZ-Gedenkstätten in Schleswig-Holstein muss nachhaltig verbessert werden. Natürlich gehört zu den infrastrukturellen Maßnahmen ebenfalls, die ÖPNV-Anbindung zu den KZ-Gedenkstätten in Schleswig-Holstein endlich zu gewährleisten und in angemessener Form umzusetzen. Die unterzeichnenden Bündnisse, Initiativen, Verbände und Einrichtungen setzen sich zur Stärkung der Demokratie für ein vielfältiges und demokratisches Miteinander und einen friedlichen und respektvollen Umgang aller Menschen ein. Solidarität ist unsere Antwort auf rechtsextreme Positionen. Bundesbildungsministerin Karien Prien, ihre Vorgängerin im Amt, hat sich vor wenigen Tagen ebenfalls für den Pflichtbesuch einer KZ-Gedenkstätte für Schülerinnen ausgesprochen. Durch diese unerwartete Koinzidenz fühlen wir uns bestärkt und wir appellieren an Sie:
Bitte zeigen auch Sie eine klare Haltung gegen Demokratiefeindlichkeit und Rassismus! Bitte setzen Sie sich für das von uns geforderte Bildungsformat und die damit verbundenen strukturellen Maßnahmen auf Landesebene ein!
Mit freundlichen Grüßen

Erstunterzeichnende:
Bündnis für Demokratie und Zivilcourage Kaltenkirchen
Bündnis für Toleranz Kellinghusen und Umgebung
Buntes Sülfeld
Das Herzogtum bleibt Nazifrei
Henstedt-Ulzburger Bündnis für Demokratie und Vielfalt
Meldorf ist bunt
Norderstedt ist weltoffen
Omas gegen Rechts Kreis Segeberg
Runder Tisch gegen Rechts Eckernförde
Verein für Toleranz und Zivilcourage e.V. Neumünster
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Schleswig-Holstein
Piratenpartei Deutschland Landesverband Schleswig-Holstein

„Erinnern ist für uns ein aktives, gemeinsames Lernen – gerade angesichts aktueller Versuche rechtsextremer Gruppierungen, wie jüngst im Fall des „Jungadler“-Bundes, junge Menschen gezielt zu indoktrinieren und demokratische Werte zu untergraben [1]. Lebenslanges Lernen bedeutet für uns: Räume für Sozialisierung, Internalisierung und Reflexionskultur zu schaffen. Ebenso ist Bildung einer der Schlüssel, um Holocaustleugnungen, Religionsfeindlichkeit, Rassismus, Ableismus, Adultismus, Antifeminismus, Lookismus sowie rechtsextremen Populismus und weitere Diskriminierung in all ihren intersektionalen Ausprägungen wirksam entgegenzutreten.“

erklärt Jonas Wessel Vorsitzender der PiratenparteiSH und Bundesbildungskoordinator der Arbeitsgruppe Bildung der Piratenpartei Deutschland.

Wir fordern zusammengefasst:

  • Pflichtbesuche von Gedenkstätten, begleitet durch qualifiziertes Lehrpersonal, barrierefreie Zugänge und inklusive Angebote – auch für Sorgeberechtigte, um Familien zu stärken und gesamtgesellschaftliche Verantwortung zu fördern.
  • Eine Schule, die Vielfalt, kritisches Denken und Reflexion lebt und alle Menschen zur aktiven Mitgestaltung einlädt.
  • Lebenslanges, offenes Lernen für alle – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Einkommen oder individuellen Voraussetzungen.
  • Prävention, Schutz und Unterstützung statt Ausgrenzung – für eine inklusive, solidarische Gesellschaft.

Unser Ziel ist gesamtgesellschaftliche Partizipation in Form von Stärkung der demokratischen Grundwerte, sowie der Förderung von Pluralität und Inklusion.

Quellen:

[1] https://www.zeit.de/gesellschaft/2025-06/rechtsextremer-jugendbund-jungadler-ermittlungen-struktur-hitlerjugend